sept ember
– und, was ist es denn nun geworden? – , fragte man ihn an diesem mittwoch zum zigsten mal über das smartcall im gen-erasure-center.
in der zentrale, hier in der landstrasser-hauptstraße, wo sie wirklich erstklassig untergebracht waren, wie er wiederholt in gedanken feststellte. allerdings waren das alle solche, die es sich leisten konnten hierher zu kommen, um sich die nachkommen planen zu lassen und schließlich eine – die optimierte – variante davon entgegen zu nehmen.
– und, was ist es denn geworden? – diese frage hatte wahrlich an brisanz gewonnen in den letzten dekaden. er betrachtete nachdenklich das junge leben in der wippe: seinen spross. teilzeitspross.
selbst nicht mehr ganz jung, fünfundsechzig geworden im letzten monat, gehörte er zur dritten generation seit der freigabe. man feierte den freigabetag seit nunmehr zwanzig jahren jeweils am dritten januar. seit sich dieser tag zum ersten mal festlich gejährt hatte, war in der tat einiges in bewegung geraten.
seine ur-urgroßeltern waren die eigentlichen pioniere auf dem gebiet der generierung von geschlechtern gewesen. nicht nur im übertragenen sinne. zwei von ihnen hatten nachweislich als biologen in der genforschung und -entwicklung gearbeitet. mittlerweile ein allerweltsjob, war das damals ein hoch angesehener, wenn auch nicht unumstrittener beruf.
zu der zeit hatte man damit begonnen, sich die babys auf dem „reißbrett“ (schon damals nur mehr redewendung) entwerfen zu lassen. nach der entschlüsselung des menschlichen genoms, was kränkenderweise allzu einfach und schneller als erwartet vonstatten gegangen war, nach der ausmerzung aller bekannten erbkrankheiten, ein wenig moralischem geplänkel und ein paar scheingefechten zu ethischen fragen, oder welche pseudohumanistischen attitüden sonst noch damals gerade beliebt waren, konnten alsbald farbgebung nach dem pantone-human-code, statur und geschlecht des sprösslings und erben pränatal festgelegt werden. geschlecht, das bedeutete zu der zeit: männlich oder weiblich. und punktum. damals wurden gewiss mehr „männliche“ erzeugt. vorerst wenigstens.
er schmunzelte leise, während diese gedanken durch seinen kopf zogen. wie einfach musste die welt gewesen sein, damals. oder genauer gesagt: zweifach, dual, dualistisch. yin und yang und all der kram. amüsant fand er das. und irgendwie auf eine nachsichtige art heimelig. so, wie man sich mit mildem lächeln gern an die schrullen seiner oma erinnert.
wenig später, gerade anderthalb generationen nach den pionieren, konnte, wer bereit war ein bisschen was aufzuzahlen, den erblich bedingten teil des intelligenzquotienten seines künftigen kindes pränatal festlegen lassen. jeder iq-punkt kostete eine nicht unwesentliche kleinigkeit extra, progressiv ansteigend natürlich. als in dieser ersten generation nach zulassung des freien iq-verkaufs eine ganze bande genialer übermenschen mit starker tendenz zum nihilismus die welt beinahe in die finale katastrophe geführt hatte, wurde diese von der who von vornherein heftig kritisierte bestimmung teilweise zurückgenommen. eine neue elite von privilegierten mit nach wie vor freiem zugang zu käuflicher intelligenz, die sich gebildet hatte, sorgte seither trotz der auch positiven messbaren nebeneffekte für anhaltenden unmut und seismisches grollen in der gesellschaft.
richtig spannend wurde es aber erst, als man nach jenem fehlgeschlagenen versuch mit der menschlichen gescheitheit,
diesem kreischenden vorbeischrammen am overkill,
vor nunmehr drei generationen dazu überging, die geschlechtergrenzen aufzubrechen. man bezeichnete dies, wie so vieles unter dem eindruck nachwirkender schockwellen, als friedensprojekt.
erst kreierten die biologen ein drittes, bald darauf, und nicht weil es nötig, sondern schlicht weil es machbar war, ein viertes geschlecht.
das tri und das quart.
vorausschauende firmen beließen es nicht beim entwurf, sondern brachten das angebot rasch auf den nachkommensmarkt. entsprechend exzentrische elternpaare oder -gruppen griffen dankbar zu, orderten und adoptierten wie wild. zu beginn galt es als durchaus ungewöhnlich, kinder des dritten oder vierten geschlechts zu haben.
seitdem hatte sich das ganze ein wenig verselbständigt.
mittlerweile gab es acht fortpflanzungsfähige geschlechter und immer wieder etliche unfruchtbare, die man salopp als neutros bezeichnete.
erster unmut aus dem volk wurde laut, rufe nach strikter geschlechtertrennung und schrittweiser reduktion. zurückführung zum ursprünglichen und so weiter. natürlich reiner kokolores. jeder halbwegs gebildete biologe wusste, dass sich die einmal geöffneten schleusen nicht mehr schließen lassen würden.
– da kennt sich ja keiner mehr aus! – titelte das meistgelesene boulevardblatt des landes, das immer noch stolz darauf war, den leuten aufs maul zu schauen. den einfachen leuten: dem kleinen mann und der kleinen frau von der straße. es waren die männer und frauen aus den schwellenschichten, jene, die sich aus finanziellen gründen noch auf herkömmlichem wege und nach wie vor nur zu männern und frauen fortpflanzen konnten und mussten, die sich am lautesten beklagten.
ein anflug von sorge huschte über sein gesicht.
–ja, ein sept, ein sept ist es geworden.–,
antwortete er zerstreut in den raum hinein und hob dabei seinen kopf hin zum großen lautsensor in der mitte des plafonds, obgleich er wusste, dass dies eine anachronistische geste war. er hatte sich nie an die akustikfühler überall in den räumen gewöhnen können. sogar, wenn er in seinen schal gemurmelt hätte, wäre er dem gesprächspartner verständlich geblieben.
–zumindest nehmen das die biologen an.–, sprach er weiter.
–zu 95%. es werden noch ein paar kleine tests gemacht,
dann wissen wir es genau. –
–gut, gut.–, gab sich die stimme aus dem smartcall erfreut.
–das bedeutet, es kann später, wenn es möchte, ohne großen aufwand ebenfalls nachwuchs haben, nicht wahr?–
–hm. wir wollten dem kind möglichst freie wahl lassen, weißt du? deswegen haben wir ein sept bestellt. falls es einmal selber kinder gebären will, dann kann es das, wenn es sich mit einem sext zusammentut. und wenn es nur am zeugungsakt teilhaben will, geht das mit einem okt, oder es verbindet sich mit einem anderen sept. dabei sollen aber immer häufiger neutros entstehen. man wird sehen.–
–und wenn es wider erwarten doch etwas ganz anderes will, kann es immer noch das gen-erasure-center beauftragen.–, antwortete die stimme aus dem smartcall, und leise ironie tropfte dabei zwischen die zeilen. doch die bemerkte der vater in seinem elternstolz nicht, oder er überging sie. er betrachtete weiter das kleine wesen, das nun aufgewacht war und mit seinem angeborenen lächeln und aus tellergroßen augen in das licht der zukunft strahlte.
bereits mit zwölf jahren würde das sept ihn und die anderen beiden, seine drei teilzeiteltern, überflügelt haben an anmut, geist und intelligenz, das wusste er.
das war es, was sie sich für ihr kind gewünscht hatten.
es war das perfekte wunschsept.
sie würden es ember nennen.
-//-
in der zentrale, hier in der landstrasser-hauptstraße, wo sie wirklich erstklassig untergebracht waren, wie er wiederholt in gedanken feststellte. allerdings waren das alle solche, die es sich leisten konnten hierher zu kommen, um sich die nachkommen planen zu lassen und schließlich eine – die optimierte – variante davon entgegen zu nehmen.
– und, was ist es denn geworden? – diese frage hatte wahrlich an brisanz gewonnen in den letzten dekaden. er betrachtete nachdenklich das junge leben in der wippe: seinen spross. teilzeitspross.
selbst nicht mehr ganz jung, fünfundsechzig geworden im letzten monat, gehörte er zur dritten generation seit der freigabe. man feierte den freigabetag seit nunmehr zwanzig jahren jeweils am dritten januar. seit sich dieser tag zum ersten mal festlich gejährt hatte, war in der tat einiges in bewegung geraten.
seine ur-urgroßeltern waren die eigentlichen pioniere auf dem gebiet der generierung von geschlechtern gewesen. nicht nur im übertragenen sinne. zwei von ihnen hatten nachweislich als biologen in der genforschung und -entwicklung gearbeitet. mittlerweile ein allerweltsjob, war das damals ein hoch angesehener, wenn auch nicht unumstrittener beruf.
zu der zeit hatte man damit begonnen, sich die babys auf dem „reißbrett“ (schon damals nur mehr redewendung) entwerfen zu lassen. nach der entschlüsselung des menschlichen genoms, was kränkenderweise allzu einfach und schneller als erwartet vonstatten gegangen war, nach der ausmerzung aller bekannten erbkrankheiten, ein wenig moralischem geplänkel und ein paar scheingefechten zu ethischen fragen, oder welche pseudohumanistischen attitüden sonst noch damals gerade beliebt waren, konnten alsbald farbgebung nach dem pantone-human-code, statur und geschlecht des sprösslings und erben pränatal festgelegt werden. geschlecht, das bedeutete zu der zeit: männlich oder weiblich. und punktum. damals wurden gewiss mehr „männliche“ erzeugt. vorerst wenigstens.
er schmunzelte leise, während diese gedanken durch seinen kopf zogen. wie einfach musste die welt gewesen sein, damals. oder genauer gesagt: zweifach, dual, dualistisch. yin und yang und all der kram. amüsant fand er das. und irgendwie auf eine nachsichtige art heimelig. so, wie man sich mit mildem lächeln gern an die schrullen seiner oma erinnert.
wenig später, gerade anderthalb generationen nach den pionieren, konnte, wer bereit war ein bisschen was aufzuzahlen, den erblich bedingten teil des intelligenzquotienten seines künftigen kindes pränatal festlegen lassen. jeder iq-punkt kostete eine nicht unwesentliche kleinigkeit extra, progressiv ansteigend natürlich. als in dieser ersten generation nach zulassung des freien iq-verkaufs eine ganze bande genialer übermenschen mit starker tendenz zum nihilismus die welt beinahe in die finale katastrophe geführt hatte, wurde diese von der who von vornherein heftig kritisierte bestimmung teilweise zurückgenommen. eine neue elite von privilegierten mit nach wie vor freiem zugang zu käuflicher intelligenz, die sich gebildet hatte, sorgte seither trotz der auch positiven messbaren nebeneffekte für anhaltenden unmut und seismisches grollen in der gesellschaft.
richtig spannend wurde es aber erst, als man nach jenem fehlgeschlagenen versuch mit der menschlichen gescheitheit,
diesem kreischenden vorbeischrammen am overkill,
vor nunmehr drei generationen dazu überging, die geschlechtergrenzen aufzubrechen. man bezeichnete dies, wie so vieles unter dem eindruck nachwirkender schockwellen, als friedensprojekt.
erst kreierten die biologen ein drittes, bald darauf, und nicht weil es nötig, sondern schlicht weil es machbar war, ein viertes geschlecht.
das tri und das quart.
vorausschauende firmen beließen es nicht beim entwurf, sondern brachten das angebot rasch auf den nachkommensmarkt. entsprechend exzentrische elternpaare oder -gruppen griffen dankbar zu, orderten und adoptierten wie wild. zu beginn galt es als durchaus ungewöhnlich, kinder des dritten oder vierten geschlechts zu haben.
seitdem hatte sich das ganze ein wenig verselbständigt.
mittlerweile gab es acht fortpflanzungsfähige geschlechter und immer wieder etliche unfruchtbare, die man salopp als neutros bezeichnete.
erster unmut aus dem volk wurde laut, rufe nach strikter geschlechtertrennung und schrittweiser reduktion. zurückführung zum ursprünglichen und so weiter. natürlich reiner kokolores. jeder halbwegs gebildete biologe wusste, dass sich die einmal geöffneten schleusen nicht mehr schließen lassen würden.
– da kennt sich ja keiner mehr aus! – titelte das meistgelesene boulevardblatt des landes, das immer noch stolz darauf war, den leuten aufs maul zu schauen. den einfachen leuten: dem kleinen mann und der kleinen frau von der straße. es waren die männer und frauen aus den schwellenschichten, jene, die sich aus finanziellen gründen noch auf herkömmlichem wege und nach wie vor nur zu männern und frauen fortpflanzen konnten und mussten, die sich am lautesten beklagten.
ein anflug von sorge huschte über sein gesicht.
–ja, ein sept, ein sept ist es geworden.–,
antwortete er zerstreut in den raum hinein und hob dabei seinen kopf hin zum großen lautsensor in der mitte des plafonds, obgleich er wusste, dass dies eine anachronistische geste war. er hatte sich nie an die akustikfühler überall in den räumen gewöhnen können. sogar, wenn er in seinen schal gemurmelt hätte, wäre er dem gesprächspartner verständlich geblieben.
–zumindest nehmen das die biologen an.–, sprach er weiter.
–zu 95%. es werden noch ein paar kleine tests gemacht,
dann wissen wir es genau. –
–gut, gut.–, gab sich die stimme aus dem smartcall erfreut.
–das bedeutet, es kann später, wenn es möchte, ohne großen aufwand ebenfalls nachwuchs haben, nicht wahr?–
–hm. wir wollten dem kind möglichst freie wahl lassen, weißt du? deswegen haben wir ein sept bestellt. falls es einmal selber kinder gebären will, dann kann es das, wenn es sich mit einem sext zusammentut. und wenn es nur am zeugungsakt teilhaben will, geht das mit einem okt, oder es verbindet sich mit einem anderen sept. dabei sollen aber immer häufiger neutros entstehen. man wird sehen.–
–und wenn es wider erwarten doch etwas ganz anderes will, kann es immer noch das gen-erasure-center beauftragen.–, antwortete die stimme aus dem smartcall, und leise ironie tropfte dabei zwischen die zeilen. doch die bemerkte der vater in seinem elternstolz nicht, oder er überging sie. er betrachtete weiter das kleine wesen, das nun aufgewacht war und mit seinem angeborenen lächeln und aus tellergroßen augen in das licht der zukunft strahlte.
bereits mit zwölf jahren würde das sept ihn und die anderen beiden, seine drei teilzeiteltern, überflügelt haben an anmut, geist und intelligenz, das wusste er.
das war es, was sie sich für ihr kind gewünscht hatten.
es war das perfekte wunschsept.
sie würden es ember nennen.
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Nachtbriefkasten - 3. Mai, 12:10
Darwins Nightmare..
P.S.: Ich halte Gen Technik auch nicht per se für verwerflich. Das wäre naiv. Schon die Bauern nutzen sie, wenn auch auf umständlichere Art, um ihre Apfelsorten zu züchten.