Im Forellenhimmel
Das Wasser schloss sich über ihr wie die Lippen eines Mundes, der sie einsaugen wollte. Das Klatschen der Wellen schien weit weg, woanders, zu sein.
Schwach hörbar nur. Sie, wie nasse Watte.
Barbara fand sich in einer tarnfarbenen halbdurchsichtigen Welt wieder. Flaschengrünes Kirchenfensterlicht.
Die Forellen, in dem düsteren Raum kaum auszumachen, zogen an ihr vorbei als könnten sie fliegen, in Zeitlupe, hielten vor ihrem Gesicht an, begutachteten sie und sagten zu ihr: Du. Nicht mehr. Nur: Du.
Dann flogen sie weiter.
Eine ganze Weile war Barbara nicht in der Lage auszumachen, wo ihr Oben und wo ihr Unten war. Erst recht nicht, das Oben oder Unten der sie umgebenden Fischwelt. Also beschloss sie solange durch das grüne wabernde Glas hindurch die Forellen zu betrachten und sich mit ihnen zu unterhalten.
Sie wunderte sich nicht über ihre Gelassenheit.
Mit der war es erst vorbei als sie feststellte, dass ihrem Blut langsam der Stoff ausging, den es nach allgemeiner Übereinkunft zu transportieren hatte. Kurz bevor ihr der Schädel zu platzen drohte, schoss sie nach oben an die Luft. Luft!
Am schlüpfrigen Beckenrand, der Url und die C. Sie bedachten sie mit spöttischem Grinsen und Kopfschütteln. Bald wären sie ihr schon hinterher gesprungen in den quadratischen anderthalb Meter tiefen Tümpel, in den Barbara sturzbetrunken gestolpert war. Die beiden trocken gebliebenen da draußen würden nie zugeben, dass sie sich bereits ein wenig gesorgt hatten. Wer ersäuft auch in solch einem Planschbecken.
Gemeinsam zogen sie Barbara aus dem schlickigen Bassin, in dem Rudolf, Barbaras Onkel, alljährlich seine Forellen mit Küchenabfällen von einem nahegelegenen Wirtshaus mästete und anschließend grausam zu Tode kommen ließ, indem er im Herbst, wenn die Tiere fett geworden waren, kurzerhand das Wasser abließ um dann zuzusehen, wie die Fische sich das Leben aus dem Leib zappelten. Dabei stand er in hüfthohen Gummistiefeln im Bodensatz des Teiches und auf seinem Gesicht glänzte Besitzerstolz, ob des silbrigen Gewimmels überall um ihn herum.
Mensch, was treibst denn so lange da im Wasser, fragte der Url, während sie zu dritt auf die Hütte zuwankten. Die wuchs wie ein merkwürdiger Betonpilz mitten aus dem Grundstück.
Barbara gab ihr Abschiedsfest, für die Leute, die sie die letzten fünf Jare durch die Zeit begleitet hatten. Morgen schon würde sie aufbrechen, viele hundert Kilometer weit weg, in ihr nagelneues Leben, ihren ersten richtigen Job.
Der Fleck hier war malerisch, ideal für ein ausgelassenes Fest dieser Art. Weit abgelegen vom nächsten Dorf, ein sacht abfallender Hang und mitten in der von Schafen abgegrasten Bilderbuchwiese die paar Bäume, Weiden und Ulmen, Fischteiche, Licht und Schatten, die kleine Hütte, Moos, Erde, Duft. Die Idylle hatte nur einen Makel. Onkel Rudolf. Der war zum Glück nicht da.
Hab mit den Forellen was besprochen, antwortete Barbara während sie, von einem Bein aufs andere schwankend, versuchte sich der nassen Kleider zu entledigen, die sie am Leib hatte, und diese, wieder so eine Idee von der C., zum Trocknen in das Backrohr des holzbefeuerten Sparherds in der Hütte stopfte. Bald war die Luft in dem Raum dampfig und weiß wie verdünnte Milch.
Barbara schlüpfte indessen in eine alte Arbeitslatzhose, die auch dem Hustinettenbär gehört haben könnte, und sah darin und mit ihrem zerrupften kurzen Haar, ohne es zu wollen oder zu bemerken, bezaubernd aus. Der Url merkte es, sagte aber nichts. Wie immer.
Nach und nach hatten auch ihre übrigen Gäste genug von den Stechmücken und der Sonne und waren in der dunstigen Stube eingetrudelt, wo man bereits Gulaschsuppe aus Dosen aufwärmte.
Die Forellen sagen, sie langweilen sich zu Tode, blubberte Barbara mit dem Mund voll Suppe und grinste in die versammelte Runde. Draußen begann es nach Hochsommerart, langsam, wie fließender Honig, zu dunkeln.
Irgendwann in der von Sternen getüpfelten Nacht hätte ein später Heimkehrer oder ein Schlafloser den Schattenriss von elf Gestalten beobachten können, jede mit Kübeln oder einem Waschschaff, im Gänsemarsch den Hang hinunterwackelnd, in Richtung des wenige hundert Meter entfernt vorbeieilenden Wildbachs und wieder hinauf. Hinunter, hinauf. Die Karawane zog die halbe Nacht hin und her zwischen Bach und Teichen. Aufgefädelt hinter einem Lichtstrahl, der sich wie ein einzelner Fühler durchs Finstere tastete.
Wenige Tage später, Barbara war längst ganz woanders, auch mit ihren Gedanken, berichtete man im bachabwärts gelegen Ort von einem ungewöhnlichen Fall: Zahlreiche Zuchtforellen, die in dem Gewässer sonst gar nicht zu finden wären, hatten sich verfangen, mausetot, im Rechen oberhalb des Wehrs, das dem kleinen Kraftwerk vorgelagert war.
In ihren aufgeschwemmten Bäuchen fand man nichts, außer Spiralnudeln.
-//-
Schwach hörbar nur. Sie, wie nasse Watte.
Barbara fand sich in einer tarnfarbenen halbdurchsichtigen Welt wieder. Flaschengrünes Kirchenfensterlicht.
Die Forellen, in dem düsteren Raum kaum auszumachen, zogen an ihr vorbei als könnten sie fliegen, in Zeitlupe, hielten vor ihrem Gesicht an, begutachteten sie und sagten zu ihr: Du. Nicht mehr. Nur: Du.
Dann flogen sie weiter.
Eine ganze Weile war Barbara nicht in der Lage auszumachen, wo ihr Oben und wo ihr Unten war. Erst recht nicht, das Oben oder Unten der sie umgebenden Fischwelt. Also beschloss sie solange durch das grüne wabernde Glas hindurch die Forellen zu betrachten und sich mit ihnen zu unterhalten.
Sie wunderte sich nicht über ihre Gelassenheit.
Mit der war es erst vorbei als sie feststellte, dass ihrem Blut langsam der Stoff ausging, den es nach allgemeiner Übereinkunft zu transportieren hatte. Kurz bevor ihr der Schädel zu platzen drohte, schoss sie nach oben an die Luft. Luft!
Am schlüpfrigen Beckenrand, der Url und die C. Sie bedachten sie mit spöttischem Grinsen und Kopfschütteln. Bald wären sie ihr schon hinterher gesprungen in den quadratischen anderthalb Meter tiefen Tümpel, in den Barbara sturzbetrunken gestolpert war. Die beiden trocken gebliebenen da draußen würden nie zugeben, dass sie sich bereits ein wenig gesorgt hatten. Wer ersäuft auch in solch einem Planschbecken.
Gemeinsam zogen sie Barbara aus dem schlickigen Bassin, in dem Rudolf, Barbaras Onkel, alljährlich seine Forellen mit Küchenabfällen von einem nahegelegenen Wirtshaus mästete und anschließend grausam zu Tode kommen ließ, indem er im Herbst, wenn die Tiere fett geworden waren, kurzerhand das Wasser abließ um dann zuzusehen, wie die Fische sich das Leben aus dem Leib zappelten. Dabei stand er in hüfthohen Gummistiefeln im Bodensatz des Teiches und auf seinem Gesicht glänzte Besitzerstolz, ob des silbrigen Gewimmels überall um ihn herum.
Mensch, was treibst denn so lange da im Wasser, fragte der Url, während sie zu dritt auf die Hütte zuwankten. Die wuchs wie ein merkwürdiger Betonpilz mitten aus dem Grundstück.
Barbara gab ihr Abschiedsfest, für die Leute, die sie die letzten fünf Jare durch die Zeit begleitet hatten. Morgen schon würde sie aufbrechen, viele hundert Kilometer weit weg, in ihr nagelneues Leben, ihren ersten richtigen Job.
Der Fleck hier war malerisch, ideal für ein ausgelassenes Fest dieser Art. Weit abgelegen vom nächsten Dorf, ein sacht abfallender Hang und mitten in der von Schafen abgegrasten Bilderbuchwiese die paar Bäume, Weiden und Ulmen, Fischteiche, Licht und Schatten, die kleine Hütte, Moos, Erde, Duft. Die Idylle hatte nur einen Makel. Onkel Rudolf. Der war zum Glück nicht da.
Hab mit den Forellen was besprochen, antwortete Barbara während sie, von einem Bein aufs andere schwankend, versuchte sich der nassen Kleider zu entledigen, die sie am Leib hatte, und diese, wieder so eine Idee von der C., zum Trocknen in das Backrohr des holzbefeuerten Sparherds in der Hütte stopfte. Bald war die Luft in dem Raum dampfig und weiß wie verdünnte Milch.
Barbara schlüpfte indessen in eine alte Arbeitslatzhose, die auch dem Hustinettenbär gehört haben könnte, und sah darin und mit ihrem zerrupften kurzen Haar, ohne es zu wollen oder zu bemerken, bezaubernd aus. Der Url merkte es, sagte aber nichts. Wie immer.
Nach und nach hatten auch ihre übrigen Gäste genug von den Stechmücken und der Sonne und waren in der dunstigen Stube eingetrudelt, wo man bereits Gulaschsuppe aus Dosen aufwärmte.
Die Forellen sagen, sie langweilen sich zu Tode, blubberte Barbara mit dem Mund voll Suppe und grinste in die versammelte Runde. Draußen begann es nach Hochsommerart, langsam, wie fließender Honig, zu dunkeln.
Irgendwann in der von Sternen getüpfelten Nacht hätte ein später Heimkehrer oder ein Schlafloser den Schattenriss von elf Gestalten beobachten können, jede mit Kübeln oder einem Waschschaff, im Gänsemarsch den Hang hinunterwackelnd, in Richtung des wenige hundert Meter entfernt vorbeieilenden Wildbachs und wieder hinauf. Hinunter, hinauf. Die Karawane zog die halbe Nacht hin und her zwischen Bach und Teichen. Aufgefädelt hinter einem Lichtstrahl, der sich wie ein einzelner Fühler durchs Finstere tastete.
Wenige Tage später, Barbara war längst ganz woanders, auch mit ihren Gedanken, berichtete man im bachabwärts gelegen Ort von einem ungewöhnlichen Fall: Zahlreiche Zuchtforellen, die in dem Gewässer sonst gar nicht zu finden wären, hatten sich verfangen, mausetot, im Rechen oberhalb des Wehrs, das dem kleinen Kraftwerk vorgelagert war.
In ihren aufgeschwemmten Bäuchen fand man nichts, außer Spiralnudeln.
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Nachtbriefkasten - 22. Nov, 18:27
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